Organisation und Schlendrian in der Kanzlei
Organisations-Chaos in Anwaltskanzleien
Damit der Schlendrian sich als Gast wohl fühlt, müssen die Gastgeber bestimmte Regeln einhalten; sonst ist er sofort weg.
Der Schlendrian ist ein überzeugter Narzisst: Er beansprucht viel Raum für sich, die Umgebung muss sich seinen Regeln unterordnen und ihn regelmäßiger füttern als ein Tamagotschi, damit er überlebt. Seine Nahrung heißt Bewunderung, während gute Führung und verlässliche Hierarchien ihn verhungern lassen.
Seine Macht verdankt der Schlendrian – auch in dieser Kanzlei – allein seinen Gastgebern, die für ihn wie Brüder im Geiste sind. Sie
- ersetzen Mitarbeiterführung durch gebrüllte Befehle
- vermeiden regelmäßiges, ernst gemeintes Lob (stattdessen „Schleimerei bei der Weihnachtsfeier“)
- vermeiden konstruktive Kritik (stattdessen „Nörgeln im Ärgerstatus“)
- grüßen nur Richter und gleichrangige Kollegen
- geben unterschiedliche Anweisungen („Wann durchstellen?“)
- transportieren „wie eine Diva“ ihren privaten Ärger ins Büro
- lassen täglich mehrere Stunden lang nach den passenden Akten suchen
- bewerfen ihre „Sekretärinnen“ kurz vor Feierabend mit „dringenden Fristsachen“[2]
- beherrschen alle Paragrafen und „haben nie Zeit„
- nutzen Partnersitzungen für Smalltalk („Keine Entscheidung nach vier Sitzungen“)
- greifen nicht durch („unwirsche Begrüßungen von Gästen am Empfang“)
- dulden Unpünktlichkeit, vor allem die eigene
- führen selbst ihre Terminkalender (denn keiner kann das außer ihnen)
- versprechen Schriftsätze „für Donnerstag“, die „zwei Wochen später noch nicht diktiert“ sind
- sprechen und schreiben unverständlich
- tolerieren nabelfreie T-Shirts und sichtbare Tattoos bei Empfangspersonal
- hören nicht auf ihre Assistentinnen
- lassen Aufstiegskriterien für den Partnerstatus der Kollegen im Dunkeln
- rollen die Augen über den „Zickenkrieg“ im Notariat
- lassen Mandanten warten
- dulden Müllsäcke auf dem Kanzleiparkplatz („Ist da nicht der Hausmeister zuständig?)
- diktieren – trotz mehrfacher Kritik – nuschelige Texte mit falscher Interpunktion aufs Band
- wehren sich gegen allwöchentliche Schnittblumenlieferungen
Organisationsfehler sind immer Führungsfehler.
So mancher Probleminhaber möchte das im ersten Telefonat noch nicht zugeben; viel einfacher wäre es für ihn zunächst, wenn Mitarbeiter, Konjunktur oder die bitterböse Online-Präsenz des fiesesten lokalen Mitbewerbers verantwortlich wären für Umsatzrückgänge, Schlendrian oder andere Arten von Kanzlei-Chaos.
Dabei vermutet er heimlich längst – und völlig zu Recht -, dass ein „Organisations-Coaching“ bei jenen Persönlichkeiten ansetzt, die diese defizitäre Organisation aktiv (durch Aktion) oder passiv (durch Duldung) ermöglichen und damit verantworten.
Streite fördern das Miteinander, Konflikte behindern es
Offener Streit unter Gleichrangigen ist harmlos, taucht immer wieder mal auf, geht in der Regel auf Meinungsverschiedenheiten zurück und kann durch Verhandlungen beseitigt werden. Konflikte dagegen sind Zündstoff und können schließlich sogar Arbeitsplätze gefährden.
Typisch für Streite:
Schnell in der Gegenwart gelöst; Sachebene tangiert, selbst introvertierte Teammitglieder können durch solche Streite belebt und ermutigt werden, eigene Positionen furchtlos einzubringen.
Geschickte Teamleiter fördern deshalb das Prinzip „hart aber fair“: sachliche Auseinandersetzungen über Streitthemen in Gegenwart aller Teammitglieder.
Typisch für Konflikte:
Mühsam in der „Zeitzone Vergangenheit“ gelöst, Beziehungsebene tangiert, Konflikte treten nicht situativ auf, sondern „schwelen“ unter der Oberfläche. Sie warten auf eine Möglichkeit, sich zu zeigen und „tarnen“ sich zu diesem Zweck gern als Meinungsverschiedenheit.
Sie treten gegenüber einem bestimmten Menschen auf (und gegenüber einem anderen nicht, obwohl der andere dieselbe Meinung vertritt oder dasselbe Verhalten zeigt) und sichern die Macht über ihn, solange der Konflikt selbst nicht durch beide angesprochen wird.
Geschickte Teamleiter bitten immer zum Einzelgespräch und thematisieren den Konflikt nicht in Gegenwart Unbeteiligter.
Konflikte begünstigen den Schlendrian
Alle Konflikte im Verantwortungsbereich einer Führungskraft verantwortet diese Führungskraft, auch wenn sie sie nicht verursacht oder auslöst.
Wenn eine Führungskraft in ihrem Territorium einen Konflikt zwischen Mitarbeitern ungebremst ausbrechen lässt (Mobbing, Intrigen etc.), ist sie in dieser Rolle ungeeignet.
Externalisierung:
Wenn die Führungskraft untrainiert, eitel oder ängstlich ist, wird sie die Verantwortung für diesen Konflikt von sich weisen, denn sie selbst „hat ja nichts gemacht“.
Passivität:
Und damit hat sie leider Recht; sie hat wirklich „nichts gemacht“: Sie reagiert durch Nichteingreifen und verschärft dadurch Konflikte. Durch Nicht-Sehen, Nicht-Eingreifen und durch das Nicht-Nutzen dieses Konflikts zerstört diese Führungskraft Porzellan für immer.
Versprechensbruch:
Wohlklingende Lippenbekenntnisse zerbröseln schneller als sie einst in die Welt gesetzt wurden. Alle müssen das verdauen und reagieren je nach Persönlichkeit und Hierarchiestufe durch Verstummen, Rumschreien oder knallharte Konfrontation.
Positives Ergebnis ist nach einem Tag „Organisations-Coaching“ möglich
Wo alle Wahrheiten immer schon locker ausgesprochen wurden, sind erstaunlich schnelle, gemeinsame Entscheidungen denkbar, die jedem nutzen.