Führungsverantwortung von Anwälten
Wer Führungskraft ist, muss führen.
Im Anwaltsgehirn erreicht das Areal „persönliche Verantwortung“ für Rückschläge, Arbeitsplatzverlust, schlechte Stimmung oder Umsatzrückgang in der eigenen Kanzlei direkt nach Berufseintritt naturgemäß – und unverschuldet – gerade einmal die Größe eines Stecknadelkopfes.
Manche Anwälte geben ein paar Jahre später – zur großen Erleichterung von Mandanten und Mitarbeitern – das Dogma der Rechtskenntnis als erstem Qualitätsmerkmal zwar auf, andere jedoch torpedieren noch zwanzig Jahre nach Berufseintritt durch eigene Aktionen (z.B. unklare Anweisungen, nicht kontrollierte Delegation etc.) oder durch angebliche Passivität (z.B. Duldung, Nichtstun, Wegschauen) Erfolge in der Kanzleikultur.
Führung ist eine A-Aufgabe
Das heißt: Alles andere kann warten. Neben der Akquise und den gerichtlichen Fristsachen gehört die Mitarbeiterführung zu den drei A-Aufgaben innerhalb einer Anwaltskanzlei.
Wer das anders einordnet, produziert Zeit-, Geld-, Image- und Gesundheitsverluste bei sich selbst und in seiner Umgebung.
Aus A-Aufgaben könne man nichts delegieren, sagt die „reine Lehre“. Ganz stimmt das nicht: Ein Kanzleiinhaber kann einen Teil seiner Chefrolle durchaus erfolgreich an eine externe Führungskraft delegieren – unter zwei Voraussetzungen:
- Er kontrolliert ihre Arbeit.
- Die neu eingestellte Person ist führungserfahren und empathisch
Folgenlose Wünsche durch folgenreiche Ziele ersetzen
Führen kann jeder lernen, sobald er das wünscht. Der erste Schritt dorthin: Folgenlose Wünsche in einer Anwaltskanzlei werden – zum Beispiel durch einen Coach – umgehend durch folgenreiche Ziele ersetzt.
Wenn ein Anwalt seine Chefrolle erlernen möchte, besucht er – sobald die Kanzleistrategie steht – ein gutes Führungsseminar, und nach ein paar Wochen strammer Übung kann er führen. Wenn das Führungsseminar gut war, lernt er auch viel über die Verantwortung für Arbeitsplätze, Arbeitsatmosphäre und Arbeitseffizienz in seiner Führungsrolle – und wie er diesen Aufgaben jederzeit gerecht wird.
Falls er in der Übungszeit – und vor allem danach – viel Feedback einholt und den Ratschlägen seiner beruflichen Umgebung sowie den erlernten Führungsgrundsätzen für immer folgt, wird er richtig gut.
Was begünstigt das Scheitern von Führungskräften?
Woran Manager scheitern, ermittelt die „Derailment“-Forschung des Osnabrücker Wirtschaftspsychologen Prof. Dr. Uwe P. Kanning:
Defizitäre Managementskills (ineffektiv entscheiden, planen, beratschlagen)
Die Betroffenen sind intellektuell und fachlich mit der Lösung ihrer Aufgaben überfordert. Sie planen zu kurzfristig, schieben wichtige Entscheidungen vor sich her und umgeben sich mit den falschen
Autoritärer Führungsstil (andere einschüchtern, einschränken)
Sie verbreiten Angst und Schrecken unter ihren Mitarbeitern und wollen trotz ihrer fachlich-intellektuellen Defizite alles persönlich kontrollieren. Den Mitarbeitern bleibt kaum Entscheidungsspielraum und natürlich traut sich niemand, die Entscheidungen der Vorgesetzten offen zu kritisieren.
Soziale Inkompetenz (Distanz, Arroganz, Beziehungsschwäche)
Es fällt ihnen schwer, tragfähige Beziehungen aufzubauen. Stattdessen halten sie sich durch distanziertes und arrogantes Auftreten die Leute vom Leib. Konflikte lassen sie regelmäßig eskalieren.
Persönlichkeitsschwächen (impulsiv, rigide, defizitär)
Sie sind impulsiv, rigide, agieren launisch und unberechenbar (oft nach Tagesform oder „Stimmung“), können ihr eigenes Verhalten nicht angemessen reflektieren und rasten deshalb aus bei ehrlichem Feedback. Mitarbeiter und sogar Kollegen haben Angst vor ihnen.
Persönlichkeitsstörungen (Narzissmus, Machiavellismus, Psychopathie)
Die sogenannte „dunkle Triade“ bezeichnet Symptome, die in ihrer krankhaften Ausprägung eine psychotherapeutische bzw. psychoanalytische Behandlung indizieren und den geringen Selbstwert der Akteure auszugleichen haben. Kranke Personen mit den Triade-Symptomen schädigen wiederholt ihre Umgebung und fallen dadurch auf, dass sie das nicht bedauern.
Anm.: Auch gesunde, selbstbewusste Führungskräfte tragen Teile dieser Symptome in sich, allerdings ohne dadurch ihre Umgebung zu beschädigen.
- Narzissmus: Der Narzisst hat ein massiv übersteigertes Selbstbild, das zur Selbstüberhöhung führt. Er neigt zu physischer oder psychischer Gewalt, wenn ihm diese jemand streitig machen will. Das Prinzip „Siegen“ steht über dem Prinzip „Gewinnen“, und Menschen werden danach beurteilt, ob sie den Narzissten bewundern oder nicht[6]. Wer ihn nicht bewundert, fällt durch.
- Machiavellismus: Der Macchiavellist sieht Menschen als Schachfiguren in einem Spiel, das allein seinem eigenen Fortkommen gilt. Beziehungen werden angepeilt und aufgenommen zu Menschen, die einen „weiterbringen“ und erlöschen, wenn sie nicht mehr „nützlich“ sind.
- Psychopathie: Der Psychopath empfindet keine Empathie für andere, bewertet soziale Verantwortung als verzichtbar und kennt weder schlechtes Gewissen noch Schuld. Charmant wickelt er Mitarbeiter, Kollegen, Lieferanten und Kunden um den Finger und belässt es überall bei oberflächlichen Beziehungen. Unterschiedliche private Partner trennen sich von ihm mit derselben Begründung: „Ich kam nicht an ihn ran.“
Maßnahmen gegen schlechte Führung
Nach einer Studie gibt es vier kulturelle Bedingungen für gute Führung. Als entscheidend ermittelte die Studie,
- wie Führung und Selbstbild der Führungskräfte auf den Arbeitsalltag einwirken
- welche Anreizsysteme für Führungskräfte etabliert sind
- ob schlechte Führung konsequent geahndet wird
- ob es eine offene und transparente Feedbackkultur
Kanzleien ahnden schlechte Führung nicht – und sorgen nicht für gute…
Ein Anwalt kommt zu Führungsaufgaben wie einst die Jungfrau zum Kinde: Keiner hat ihn vorbereitet, er hatte es nicht beantragt, und mit den Folgen muss er weitgehend allein fertig werden.
Da es in Kanzleien weder einen Anreiz für gute Führung noch Strafen für schlechte gibt und Anwälte für Führungsaufgaben nicht ausgebildet werden, können sie ihre A-Aufgaben[9] nicht (er-)kennen und missachten sie – oft versehentlich. Dass sie dadurch Arbeitsplätze gefährden, können sie in der Regel nicht selbst überschauen.
Führung wird in Kanzleien behandelt wie eine eher ungeliebte Zusatzaufgabe, die von nicht ausgebildeten, ehrenamtlichen Akteuren neben deren Tagesgeschäft erledigt wird.
Entsprechend niederschmetternd sind bisweilen die Ergebnisse für Motivation, Mandantenservice, Selbstbestimmung und psychische Gesundheit der Mitarbeiter in Kanzleien.